Terra Mater
DIE SCHLANGENINSEL

Vor der Südostküste Brasiliens liegt einsam ein 43 Hektar großer Felsen im Atlantik. Die Ilha da Queimada Grande ist militärisches Sperrgebiet, und das aus gutem Grund: Auf dem Eiland wimmelt es nur so von hoch giftigen Insel-Lanzenottern. Terra Mater hat sich trotzdem mit einem Biologen an Land gewagt.

Text: Martin Zinggl

Fotos: Joao Marcos Rosa

 

Schwer beladen hüpft die „Asteriks“ über die Wellen des Atlantiks. An Bord des kleinen Bootes sind 100 Liter Trinkwasser, Zelte, Kisten randvoll mit Konserven und Trockennahrung, Rucksäcke und fünf Passagiere. Unter ihnen ist Carlos Azevedo, ein hagerer Mann mit Dreitagebart, er ist Mitarbeiter der brasilianischen Umweltbehörde ICMBio. Unter dem Ärmel seines ausgewaschenen Shirts blitzt eine Tätowierung hervor – ein Totenkopf.

ICMBio kümmert sich landesweit um Fauna und Flora in den Naturreservaten und arbeitet als Schirmorganisation mit verschiedenen Forschungseinrichtungen und lokalen Experten zusammen. Einer davon steht neben Carlos: Breno Damasceno. Der 38-jährige Biologe aus Belo Horizonte ist Gründer des Vereins Bio Galapagos, er leitet diese Expedition.

Nach über einer Stunde Fahrt erreicht die „Asteriks“ ihr Ziel: einen buckeligen, bewaldeten Gneisfelsen von zwei Kilometer Länge, der schätzungsweise 200 Meter steil in die Höhe ragt. Die Ilha da Queimada Grande. „Die große verbrannte Insel“, übersetzt Breno Damasceno, und seine huskyblauen Augen funkeln. Bereits zum siebenten Mal besucht er Queimada, und der Grund dafür ist nichts für schwache Nerven: Er erforscht Bothrops insularis, die Insel-Lanzenotter – eine Giftschlange, die ausschließlich auf dieser Insel vorkommt.

Damasceno studiert das Jagd-, Territorial- und Reproduktionsverhalten der seltenen Reptilien. Wegen des begrenzten Verbreitungsgebiets und der daraus resultierenden Inzucht ist die Schlange vom Aussterben bedroht. Auf der Roten Liste der IUCN wird sie längst als „critically endangered species“ geführt. Andererseits zählt Queimada mit rund 55 Schlangen pro Hektar zu den Orten mit der höchsten Schlangendichte der Welt. Um die Schlangeninsel und seine Bewohner zu bewahren, aber auch zum Schutz der Menschen wurde Queimada zum militärischen Sperrgebiet erklärt und steht seit 1985 als Naturreservat unter dem brasilianischen Arten- und Umweltschutz.

Aufgebracht kreisen über unseren Köpfen zahlreiche Tölpel, Möwen und Fregattvögel, die sich um ihre Jungen sorgen. Zugvögel nutzen die unbewohnte Insel als Rast- und Nistplatz. Und so ist bis auf Vogelkot nichts zu sehen an der steinigen Küste, die von mannshohen Felsbrocken gesäumt ist. Die brechenden Wellen haben die Brandungszone von ihrer Vegetation längst befreit. Einen Strand sucht man hier vergeblich, genauso wie eine Anlegestelle. Dafür erinnert ein in den kahlen Boden hineinzementiertes Schild daran, dass der Zutritt streng verboten ist. „Die Insel ist im Besitz der Marine“, erklärt Carlos Azevedo. „Aber seit sechs Jahren entscheidet ICMBio, wer wann hierher kommt. Wir vergeben die Lizenzen an ausgewählte Forscher – nur sie dürfen Queimada betreten und die Schlangen studieren.“