Spiegel Online
DIE MÜLLINSEL

Strandparadies neben Müllhölle: Über Jahrzehnte haben die Malediven aus ihrem Abfall eine giftige und stinkende Insel geschaffen. Jetzt will das Land nachhaltiger werden – und die Touristenzahlen steigern. Wie kann das funktionieren?

 

Ahmed Murthaza trägt die Last eines ganzen Landes auf seinen Schultern. Der kleine Mann mit Designerbrille, Vollbart und ernstem Blick soll das Müllproblem der Malediven lösen. Seit 2015 leitet er als Generaldirektor die Abteilung für Abfallbeseitigung und Schadstoffbekämpfung im maledivischen Umweltministerium.

Ein Animationsfilm flimmert über seinen Bildschirm, es sind die Bilder seiner Vision: eine Insel mit türkisblauem Meer und palmengesäumten Straßen. Im Zentrum ragt ein grüner Hügel in den Himmel, umrundet von angelegten Wegen, umgeben von auf Hochglanz polierten Gebäuden. Einladend, ordentlich, perfekt – wie aus dem Werbekatalog eines Immobilienbüros sieht der Ort aus, der vor allem eines ist: frei von Müll.

Murthazas klimagekühltes Büro befindet sich im vierten Stock des Umweltministeriums in Malé, der Hauptstadt des Inselstaats im Indischen Ozean.

Keine sieben Kilometer von hier entfernt, entpuppt sich seine Vision allerdings noch als Illusion. Die computeranimierte Trauminsel aus der Zukunft zeigt sich in der Gegenwart als Vorbote der Hölle: ein zwanzig Meter hoher Berg aus Müll, vierzehn Fußballfelder groß, umhüllt von Gestank und dem giftigen Dampf zahlloser kokelnder Brände, umgeben von schlickbraunem Wasser, das von Ölteppichen bedeckt ist und in dem Flaschen, Tüten und tote Fische treiben.

Legionen von Fliegen schwirren in dem beißenden Rauch umher, hin und wieder explodiert eine Batterie, eine Gaskartusche oder ein Benzinkanister, Stichflammen steigen empor. Die apokalyptische Realität trägt einen Namen: Thilafushi. So heißt die künstlich erschaffene Insel aus Müll, auf der der Abfall der Malediven landet, wenige Kilometer von den Traumstränden der Touristen entfernt.